Gedanken zu Neujahr 2024
Gedanken zu Neujahr 2024
von P. Jörg Weinbach OT
Geistlicher Assistent der Ballei Deutschland
Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr werden oft als „Zeit zwischen den Jahren“ bezeichnet. Der Lauf der Dinge scheint irgendwie angehalten. Vielfach werden Kindheitserinnerungen wach. Man nimmt sich Zeit für die Familie, für den Besuch von Verwandten und Freunden oder einfach für das eigene Durchatmen. Der Alltag mit Arbeit und Betriebsamkeit scheint weit weg. Es herrscht vielleicht so etwas wie weihnachtlicher Friede im eigenen Leben und die Welt scheint still zu stehen und innezuhalten.
Auch die Liturgie scheint dieses Innehalten mitzuvollziehen, feiern wir doch eine Woche lang Weihnachten und am 1. Januar, der zugleich Oktavtag von Weihnachten und Hochfest der Gottesmutter ist, hören wir erneut das Evangelium aus der sogenannten Hirtenmesse des Weihnachtsmorgens, erweitert nur um die Notiz: „Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, bevor das Kind im Mutterleib empfangen war.“ (Lk 2,21)
Aber der Schein trügt. Seit Weihnachten ist die Liturgie nicht stehen geblieben. In Stephanus (26.12.) erinnerte sie uns an die verfolgte Kirche auch unserer Tage, und in den unschuldigen Kindern von Betlehem (28.12.) an alle Kinder, die aus menschlichem Egoismus um ihr Lebensrecht betrogen werden. Sie zeigt uns aber auch in Johannes, dem Jünger, den Jesus liebte (27.12.), wie die Liebe zu Christus zu einer Gewissheit werden kann, die letztlich unerklärlich bleibt. Er berichtet über sich selbst, dass er, als er das leere Grab betrat, „sah und glaubte“ (Joh 20,8). Diese zunächst rätselhafte Aussage erinnert mich immer an das bekannte Zitat aus dem Kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen verschlossen!“ Es geht um die Kraft der Liebe, des Glaubens und des Gottvertrauens, die uns auch im greisen Simeon (29.12.) und der hochbetagten Hanna (30.12.) im Jerusalemer Tempel begegnet sind. Und gestern hat das Fest der heiligen Familie uns neu auf die Familie als Urzelle der Kirche hingewiesen. Denn die heilige Familie von Nazareth war heilig, weil Christus in ihr gegenwärtig – weil er ihre Mitte war.
So zeigt uns die Liturgie der Woche nach Weihnachten die gesamte Spannbreite der menschlichen Existenz, die bedroht ist durch Egoismus, Hass und Gewalt, aber auch getragen wird von Hoffnung, Glaube und Zuversicht. Und in allem sowohl im Leiden als auch in der Freude erkennen wir den Weg zur Heiligkeit, zur Gemeinschaft mit Gott, die in der Annahme Christi besteht; darin, ihn zum Mittelpunkt des eigenen Lebens werden zu lassen.
Am heutigen Oktavtag von Weihnachten aber kehren wir zurück zur Krippe, um noch einmal mit geweitetem Blick das unfassbare Geheimnis der Menschwerdung Gottes zu betrachten und seine liebende Gegenwart nicht nur in der Welt, sondern ganz konkret in unserem Leben zu erkennen.
Maria so hält, der Evangelist Lukas fest, bewahrte „alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (Lk 2, 9). Das gleiche wird Lukas erneut festhalten, nachdem Maria und Josef Jesus nach dreitägiger angstvoller Suche im Tempel wiedergefunden haben und er zu ihrem Unverständnis auf die Frage nach dem Grund seines Verhaltens antwortet: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört.“ (Lk 2, 49)
Alles im Herzen bewahren und erwägen, das ist Haltung eines kontemplativen Lebens; eines Lebens aus dem Gebet, das sich bemüht, die Spuren der Liebe Gottes in der Welt und im eigenen Leben zu erkennen und zu begreifen, dass Gott seine Verheißung in Christus erfüllt hat. Diese Erkenntnis aber soll zur Freude werden, die auf dem Weg durch das Leben trägt, so wie wir es bei den Hirten sehen, die zu ihren Herden, in ihren Alltag zurückkehrten und Gott für alles rühmten und priesen, was sie gehört und gesehen hatten. (Lk 2,20)
Und auch die Notiz von der Namensgebung, die auf den ersten Blick so unspektakulär erscheint, weist in diese Richtung: Wenn Maria und Josef dem Kind den Namen „Jesus“ geben, bestätigen sie damit, dass sich erfüllt hat, was der Engel Maria bei der Verkündigung und Josef im Traum gesagt hatte. Dass nämlich das Kind wirklich und wahrhaftig Gottes Sohn ist und er „sein Volk von seinen Sünden erlösen“ wird. (Mt 1,21) Genau dies sagt nämlich der Name „Jesus“ aus, der übersetzt „Gott ist Rettung“ bedeutet. Die Namensgebung ist – wie das Rühmen und Preisen – der Hirten letztlich ein Bekenntnis, dass Gott seine Verheißungen in dem Kind von Betlehem wahrmacht.
Wenn wir nun, nach den Weihnachtstagen in unsern Alltag zurückkehren, dann sollen wir wie Maria, alle Erfahrungen der liebenden Gegenwart Gottes, die wir machen durften, in unserem Herzen behalten und über sie nachdenken. Und wir sollen wie die Hirten Gott für diese Erfahrung rühmen und preisen, damit unser Leben zum Bekenntnis wird, das der Welt sichtbar und erfahrbar macht: „Gott ist Rettung!“ Er selbst ist erschienen als Retter der Welt, in Jesus Christus, dem Kind in der Krippe.
Ich hoffe, Sie hatten ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und wünsche Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, ein gnadenreiches Jahr 2024.
Möge das Licht, das an Weihnachten auf Erden aufgestrahlt ist, Ihre Herzen allezeit mit dem Glanz seiner Gnade erhellen und Sie im Glauben und Vertrauen daran erhalten, dass Gott unsere Rettung ist.
Amen!